Fachartikel · 10. Februar 2017

Der Mythos lebt: Die Creative Mum gibt es wirklich!

Irmgard Hesse ist Agenturgründerin, Geschäftsführerin von Zeichen & Wunder – und zweifache Mutter. Wie das alles zusammenpasst und was Kinder in der Kreativwirtschaft bedeuten, erklärt sie in einem Beitrag für W&V Online.

Kaum zu glauben, aber wahr: Wir haben das menschliche Genom entschlüsselt und Satelliten zum Mars geschickt. Mit dem Phänomen der „Working Mum“ scheint unsere Gesellschaft und unsere Branche aber auch 2017 noch zu fremdeln.

Mit wachsendem Erstaunen verfolge ich die Diskussion, ob man Mütter „im Ernst“ einstellen und als vollwertige Mitglieder im Arbeitsleben ansehen kann. Bei beiden Beiträgen handelt es sich bei näherem Hinsehen ja um eine rein theoretische Diskussion, bei der man „ganz mutig“ erwägt, zur Abwechslung mal eine Mutter einzustellen und dafür einen Orden erwartet.

Deshalb hier anstelle des – immer sehr einfachen – „was wäre wenn“, ein Einblick in die tatsächliche Praxis. Wie ist es denn, wenn beinahe die Hälfte der Angestellten in einer Top-10-Kreativagentur Mütter (und Väter) sind? Wie immer ist die Wahrheit komplizierter als die markige Headline.

 

Einfach Teilzeit ist nur die halbe Wahrheit

Ein Teil der Wahrheit ist: Man braucht mehr Platz. Denn dass sich zwei Teilzeit-Mütter einen Job teilen, ist natürlich Unfug. In den letzten 20 Jahren gab es bei uns keine einzige Mutter – oder Vater –, der/dem mit einem Teilzeitarbeitsplatz von Nachmittags bis Nachts geholfen gewesen wäre. Natürlich wollen alle am Vormittag arbeiten und nachmittags dann nach und nach ihre Kinder aus den verschiedensten Betreuungsorganisationen holen. Sprich: Der lange Vormittag ist Rush-Hour, Meeting-Zeit, etc. Unsere Lösung ist: Einerseits gibt es Kernarbeitszeiten, die die essentielle Teamarbeit ermöglichen. Andererseits setzten wir auf individuelle Lösungen, die für beide Seiten ein langfristiges und tragfähiges Optimum ermöglichen.

Und wo wir beim Thema Zeit sind: Ja, es macht Arbeit, wenn ein erheblicher Teil der Angestellten Teilzeit arbeitet. Es verlangt eine sehr gute Organisation und zwar sowohl von der Agentur (haben wir) als auch von den Teilzeitkräften. Manchmal nervt es einfach, wenn es keinen Spielraum gibt und eine Mitarbeiterin mitten im Meeting sofort los muss, weil das Kind krank geworden ist. Gleichzeitig können durch klare Zeitfenster aber auch endlos-Termine vermieden werden, in denen längst schon alles gesagt ist, aber keiner aufsteht, weil die Stühle gerade wohl temperiert sind: Das lange Meeting ist nicht immer das effiziente Meeting.

Ein klarer Vorteil, den Mütter häufig mitbringen, ist dafür eine hohe Effizienz und Coolness in stressigen Situationen. Das kommt dem ganzen Team zu Gute und kommt sicher nicht von ungefähr, denn Arbeiten mit kleinem Kind oder Kindern verlangt Müttern einiges ab. Und dazu gehören nicht nur gute Nerven und die Fähigkeit zur Priorisierung.

Es gibt für arbeitende Eltern keine Komfortzonen

Es geht auch um die Einsicht, dass arbeitenden Eltern definitiv raus aus der Komfortzone müssen. Wenn man einen leitenden Job mit Teamverantwortung hat, ist es mit 50 Prozent Arbeitszeit in der Regel nicht getan, da muss es etwas mehr sein. Und dass sie Tag für Tag ein Fulltime-Programm zu erfüllen haben, dass auch einen Hochleistungssportler an seine Grenzen treiben könnte.

Aber die Wahrheit ist auch: Keiner von uns würde all das missen wollen. Denn „unsere Eltern“ haben kluge, kreative Köpfe, die sie auch nach einer Geburt gern jenseits von Windeln und Spielplatz-Talk einsetzen möchten. Und wir möchten nicht auf fantastische, kompetente, lieb gewonnene und langjährige Mitstreiter und Mitstreiterinnen verzichten, nur weil sie – wie viele Menschen – ein ganz normales Leben mit Familie führen wollen.

Das Leben ist nun mal bunt und unberechenbar – und mit dieser Lebenswirklichkeit sollte man doch gerade in einer Kreativagentur umgehen können. Schließlich suchen wir die besten Kreativen, der Familienstand ist da zweitrangig.

Genau wie in jedem anderen gestandenen Unternehmen gibt es bei uns eben nicht nur die 20-jährigen „karrieregeilen“ jungen Hupfer – die nebenbei bemerkt jede Menge Wünsche nach unbezahltem Urlaub, Sabatticals und reduzierten Arbeitszeiten vorbringen. Sondern auch die „gestandenen“ und erfahreneren Mütter und Väter – die sich auch dann nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn der Kunde spontan sein Baby zum Präsentationstermin mitbringt.

Immerhin wissen wir ja, wie schnell man als Elternteil in so eine Lage kommen kann. Und wir sind professionell genug, um damit umgehen zu können.

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