Fachartikel · 27. Mai 2020

Komplex: ja bitte! Kompliziert: nein danke.

Irmgard Hesse über Content und Design als Mittel für eine emotionale Verankerung und Identifikation.

Der Mensch selbst ist ein äußerst komplexes Wunder der Natur. Und das ist fantastisch und für sich genommen auch noch kein Problem. Wir Menschen bewegen uns seit Jahrtausenden in einer äußerst komplexen Welt. Das feine Ineinandergreifen von ganz unteschiedlichen Kreisläufen wie zum Beispiel die Jahreszeiten oder das Entstehen und Vergehen ist, im Großen wie im Kleinen unglaublich vielfältig und gerade deshalb faszinierend.

Interessanterweise hat der Mensch der ungeheuren Komplexität der Natur gegenüber keinerlei Berührungsängste oder gar Stressgefühle. Im Gegenteil, er oder sie empfindet die natürliche Umwelt häufig als ästhetisch und beruhigend. Sogar wenn die natürliche Umgebung zur Bedrohung wird, sind die Mechanismen in der Regel „nachvollziehbar“. Das mag daran liegen, dass es in der Natur sehr wirkmächtige und allgemeingültige Prinzipien gibt, die hinter vielen Abläufe stehen. Und mit diesen Prinzipien sind wir seit Menschengedenken vertraut.

Nun kommen in unserer „schönen neuen Welt“ zum Beispiel durch Zukunfts-Technologien ganz neuartige Prinzipien hinzu, die –  obwohl ungleich simpler als ihr Vorbild Mutter Natur – anscheinend von vielen Menschen als viel weniger selbstverständlich und zugänglich empfunden werden. Das mag auch daran liegen, dass wir uns in die natürlichen Kreisläufe eingebunden fühlen. Die neuen Technologien und die digitale Transformation sind, wenn man die Menschheitsgeschichte als zeitlichen Maßstab nimmt, rasend schnell über uns gekommen, ohne das wir uns über viele Generationen schrittweise daran gewöhnen konnten.

In dieser Welt suchen wir nun mit unser „steinzeitlichen“ Prägung und Wahrnehmung unseren Platz. Und diese „neue Welt“ macht uns innerlich große Mühe. Wir meinen, die Zukunft weniger gut einschätzen zu können. Denn die neuen Prinzipien und Regeln müssen wir erst einmal erkennen und nach und nach verstehen lernen.

Das ist im Alltag häufig schwer auszuhalten. Hier kann Kommunikation, gestalterisch und inhaltlich, eine Brücke bauen. Vor der Form kommt bekanntlich der Inhalt und es ist sicher kein Zufall, dass Sprache sehr häufig verklausuliert und verschwurbelt eingesetzt wird, wenn der Sender entweder: Erstens, inhaltlich nicht klar ist, oder zweites, gar keine Meinung hat, oder, drittens, seine tatsächliche Meinung unter einem Zuckerguß an Formulierungen verbergen möchte. Im Volksmund wird das recht anschaulich als „drum herum reden“ bezeichnet. Die angebliche Komplexität der Materie muss hier meistens als Ausrede herhalten.

 

Was heisst das konkret?

Eine klare Sprache setzt klare Gedanken voraus. Aber: Klarheit macht erst mal viel Arbeit. Denn das Ringen um einen neuen, wesentlichen Gedanken ist die Vorrausetzung für eine Sprache, die dann gerne eindeutig, sogar einfach, aber eben nie simpel im Sinne von geistig schlicht und anspruchslos sein sollte. Verständlichkeit in der Kommunikation ist auch deshalb wichtig, weil wir den Schauplatz auf keinen Fall den allzu primitiven Gedankengebern überlassen sollten. Denn das ist doch die hohe Kunst: einen herrlich komplexen Inhalt in schöne und zugängliche Sprache zu übertragen.

Design kann ein wunderbares Mittel für mehr Verständlichkeit sein. Denn auch hier gilt, nur wer sich inhaltlich sortiert und seine Ideen priorisiert hat, kann einen sinnvollen Entwurf entwickeln. In einer komplexen Welt sind deshalb zum Beispiel Icons zur visuellen Strukturierung von Inhalten hoch im Kurs.

Aber Design ist weit mehr als ein Hilfsmittel für Informationen. Die Rolle von Design ist viel grundsätzlicher. Authentisches und nahbares Design hilft uns dabei, uns in der Welt zuhause und beheimatet zu fühlen. Es visualisiert unsere Gefühle und unausgesprochenen Bedürfnisse und schafft so Verankerung und Identifikation. Und macht uns allen so im Idealfall den Alltag ein bisschen leichter.

Lasst sie uns feiern, die wunderbare Komplexität unserer Welt!
Begegnen wir ihr mit Klarheit und Schönheit.