
Digital! Life! Design!
Auf der Münchner Medienkonferenz DLD diskutierten Gründer und Investoren Fragen von höchster Relevanz. Irmgard Hesse berichtete für wuv.de über die die spannendsten Vorträge – und darüber, was wir von Rem Koolhaas lernen können.
Tag 1
Am ersten Tag des DLD 2021 teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Vision vom „Green Deal“ und wie er Wirklichkeit werden kann. Ihr Vorbild ist das Bauhaus. Darauf nahmen auch noch andere Speaker:innen Bezug. Zugegeben, es hat ein bisschen Überwindung gekostet, an diesem sonnigen, lockenden Vorfrühlings-Sonntagnachmittag den digitalen Konferenzraum des diesjährigen DLD zu betreten. Aber: es wurde gleich spannend. DLD, das ist ja die Abkürzung von „Digital Life Design“.
Letztes Jahr stand bei vielen Beiträgen das Thema der Schnittstelle von Technik und Mensch im Vordergrund und heftig diskutiert wurden beispielsweise die damit einhergehenden Bedrohungen und Risiken für unser Zusammenleben. Von „Design“ war eher weniger die Rede, eher ging es um kreative, wissenschaftliche Ansätze. Und der ein oder anderen geladenen Künstler wird sich die Einordnung unter „Design“ auch sicher mit Recht verbitten. Spannend ist, dass nun in der Conference 1 nach Beginn der Pandemie das Thema Kreativität neuen Raum und eine zentralere Aufmerksamkeit bekommt. Hier ein paar Eindrücke:
Bauhaus reloaded
Bauhaus reloaded Der erste Punkt des Hauptprogramms kommt von Ursula von der Leyen, einer treuen Weggefährtin und Sprecherin des DLD. Und, darauf weist Steffi Czerny in ihrer Ankündigung zu Recht hin, unabhängig von den unterschiedlichen Ämtern und Funktionen, die sie in den letzten Jahren inne hatte: als Bundesministerin erst für Familien, dann Ministerin für Arbeit und Soziales und als Verteidigungsministerin und nun, in einem der wohl weltweit höchsten und einflussreichsten Ämtern, als Präsidentin der Europäischen Kommission. Von der Leyen gibt in ihrer Ansprache eine sehr konkrete Antwort auf die Frage des diesjährigen DLD Mottos: „What the World needs now“: eine Wiederbelebung der Ideen des Bauhauses unter europäischen und ökologischen Gesichtspunkten. Nun hat sich die EU-Kommission in der Vergangenheit nicht gerade als Promoter von Kreativität hervorgetan. Umso aufregender ist die Vision eines Neuen Europäischen Bauhauses, für die Ursula von der Leyen wirbt: Sie spricht von einem Herzensprojekt, einem Projekt, dass – gerade in den Zeiten der Pandemie – für Hoffnung steht und beschreibt den Beitrag des „New European Bauhaus“ so:
Es soll Träume ermöglichen, uns innerlich berühren und Kreativität fördern. Was erst mal eher weich und poetisch klingt, meint nicht weniger als die Umsetzung des von der Europäischen Kommission beschlossenen „Green Deals“. Sie sieht dieses gerade erst im Entstehen befindliche neue Bauhaus als kraftvollen „Enabler“ für alle, die die Zukunft formen wollen. Hier sollen möglichst viele und unterschiedliche Bürger einbezogen werden, vom Studenten über Architekten und Designer zum Unternehmer. Dabei sieht sie Architektur zwar als zentral an, möchte die Vision aber keinesfalls darauf begrenzen. Letztlich geht es darum, wie wir in (naher) Zukunft leben wollen. So wie das Bauhaus des letzten Jahrhunderts die Gesellschaft nachhaltig veränderte und bis heute prägend für ist, erhofft sich von der Leyen Impulse für die konkrete Umsetzung. Nicht nur Reden, sondern Handeln ist gefragt: Wie schaffen wir schöne, nachhaltige und inklusive Orte des Zusammenlebens nach der Pandemie? Nach der europäischen Vision ist das nächste Gespräch mit „From Vision to Reality“ überschrieben und schließt sich direkt an das neue Bauhaus und das von Frau von der Leyen bereits genannte Beispiel der finnischen Hochhäuser aus Holz an.

© DLD
Wäre Walter Gropius heute wiedergeboren, wäre er Ökologe
Der Architekt Bjarke Ingels ist einer der hochinnovativen Architekten, die uns immer wieder mit ebenso spektakulären wie schlauen Projekten überraschen, so wie beispielsweise der Kombination von Müllverbrennungsanlage und Skipiste mitten in Kopenhagen. Er diskutiert mit dem renommierten deutschen Klima-Forscher Hans Joachim Schellnhuber. Beide starten mit einer kurzen Präsentation verbunden mit einem jeweils eindringlichen Appell, den Klimawandel zu stoppen.
Laut Bjarke Ingels ist hier eher die Umsetzung das Problem. Inzwischen gäbe es viele Ideen und auch die entsprechenden Technologien sind verfügbar. Das dies nicht einfach ist, zeigt sein Beispiel. Der Bau der Kathedralen war eine umfassende Aufgabe über mehrere Generationen hinweg. Hiermit sei der aktuelle Kraftakt des Umbaus unserer Gesellschaft unter nachhaltigen Gesichtspunkten vergleichbar. So wie der Bau des Kölner Doms über 600 Jahre gedauert hat, spricht Ingels von einem heute nötigen gigantischen Masterplan für die Erde. Ob der Bau der Kathedralen, der ja auch für eine Machtdemonstration steht und eher weniger für die Bauhausidee der Inklusion steht, ein ideales Beispiel ist, sei dahingestellt. Interessant ist sein Ansatz, die Aufgabe des neuen Bauhaus in der „Skalierung“ zu verorten, also im Herunterbrechen auf konkrete Lösungsansätze und diese umzusetzen. Seinem Gesprächspartner, dem Klimaforscher Joachim Schellnhuber, gelingt es, plakative Bilder zu finden. Da der Bau- und Gebäudesektor für unglaubliche knapp 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich ist, zieht er hier einen konkreten Bezug zum Bauhaus. Seine These: Wäre Walter Gropius heute wiedergeboren, wäre er Ökologe. Als Verfechter der Kreislaufwirtschaft berät Schellnhuber auch Ursula von der Leyen und so sind die Gedanken des von ihm mitentwickelten Konzepts des „Bauhaus der Erde“ in das „New European Bauhaus“ eingeflossen.
Free Yourself from Tech
Mit Olafur Elliason war nach Bjarke Ingels gleich ein weiterer Großmeister der Kreativität geladen. Unter dem verheißungsvollen Titel „Free Yourself from Tech“ fand ein Gespräch zwischen ihm und der Wissenschaftlerin Pireeni Sundaralingam vom Center of Humane Technology statt, die sich selbst als „Cognitive Scientist & Poet“ bezeichnet. Man darf gespannt sein auf ihr demnächst erscheinendes Buch, das sich mit den Auswirkungen von Social Media auf die Entwicklung bei Kindern und auf demokratische Strukturen beschäftigt und versucht dazulegen, wie wir eine bessere Beziehung mit neuen Technologien eingehen können. Der Kurator Hans Ulrich Obrist moderierte, ein DLD-Urgestein. Beide Speaker verbinden naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit Ästhetik und es ist ein Genuss, ihnen beim geistigen Ping-Pong zu zusehen.
Inhaltlich in die Tiefe zu gehen, ist beim diesjährigen digitalen Format mit seinen 15 Minuten-Slots nicht immer möglich. Aber Denkanstöße, Querverbindungen, künftigen Lesestoff und die permanente Aufforderung, selbst zu überlegen, was die Welt jetzt wirklich braucht, das liefert dieser erste Tag des DLD allemal.
Enden wird dieser Tag aber mit der dringlichen Ansprache der mutigen jungen Journalistin Maria Resser von den Philippinen, die für den diesjährigen Friedensnobelpreis nominiert ist. Das ist das Wunderbare am DLD, das Aufeinandertreffen von unterschiedlichsten Perspektiven, Ideen und Erfahrungshorizonten.

© DLD
Die DLD-Familie soll zusammenhalten
Und hier wird es nochmal emotional: Steffi Czerny geht, wie sicher den meisten Teilnehmenden, der Appell unter dem Titel „Never Give Up“ von Maria Resser spürbar nahe. Auch im letzten Jahr war ihr Vortrag sicher einer derjenigen, der am tiefsten emotional bewegt hatte. Stephanie Czerny beschwört regelrecht immer wieder die DLD-Familie, die zusammenhalten sollte und verteilt viele digitale Hugs. Sie ist der gute und besondere Geist dieser Veranstaltung, mit ihrer warmherzigen, unverfälschten Zugewandtheit drückt sie zusammen mit ihrem ebenso charmanten Chairman Yossi Vardi diese Tage auf sympathische Art und Weise ihren Stempel auf. Sie bezeichnet die DLD Community als „ihren Schatz“. Damit hat sie recht, denn es ist ein Schatz – und es ist zu einem beträchtlichen Teil auch „ihr“ Schatz. Wie schön, dass sie ihn mit uns teilt.
Tag 2
Stadt, Land, Data – das prägte Tag 2 des DLD: es ging nicht nur um Flugtaxis und Autos, sondern auch wo und wie wir wohnen wollen.
Am zweiten Nachmittag der DLD-Konferenz waren vielversprechende Schwerpunkte für weitere wichtige Zukunftsthemen gesetzt, wie zum Beispiel „Mobilität der Zukunft“. Im Talk „The (R)evolution of Movement“ zwischen Marc Berg, CEO von „Free Now“ und Florian Reuter von Volocopter hat die Zukunft bereits angefangen.Fantastisch moderiert von Tabitha Goldstaub (CognitionX) träumen wir uns für 15 Minuten in eine Welt mit Flugtaxis, maßgeschneiderten Sharing-Angeboten und nachhaltiger Mobilität. Vom Volocopter-Chef erfahren wir die erstaunliche Einschätzung, dass der Luftraum als Verkehrsraum weniger komplex zu bespielen sei als der Boden, da am Boden so viele unterschiedliche Verkehrsteilnehmer aufeinander treffen. Wenn man alleine an die Diskussionen und den Verteilungskampf in München denkt, den ein paar wenige neue Radwege ausgelöst haben, ist man geneigt, dieser These zuzustimmen.
Als nächstes ließ sich ein gut gelaunter Oliver Zipse, CEO von BMW, von Stephanie Czerny interviewen. Man hätte vermuten können, dass er sich im direkten Anschluss an den Talk der beiden Mobilitätspioniere als klassischer Vertreter der „alten“ Industrie schwergetan hätte, auf dem DLD zu bestehen. Aber das Gegenteil war der Fall. Ihm gelang es im Laufe des Gesprächs überzeugend, die verschiedenen Perspektiven zu einem Gesamtkonzept der Zukunftsmobilität zu verweben in einem fröhlichen Miteinander von Fahrradfahren, Car-und-was-auch-immer-Sharing, Elektromobilität und zur Not auch ÖPNV. Dabei sieht Zipse – naturgemäß und kraft seines Amtes – die Automobilindustrie als Role Model für den Wandel in Richtung Circular Economy und „Secondary first“. Dass es da um mehr geht als Elektromobilität, wird hier sehr deutlich. Letztlich stellt er nicht weniger in Aussicht als den Umbau von BMW in eine „Green Company“.
Die Frage, wie das zur BMW-Kultur passt und bei den über hunderttausend Mitarbeitern ankommt, beantwortet er elegant mit dem Selbstverständnis eines äußerst innovativen Unternehmens: „Revolution is fun“, mit dem Thema Innovation könnten sich die Mitarbeiter sehr gut identifizieren. Der BMW i3 war ein Pionier für den Umbau der Automobilindustrie und diesen Spirit gelte es jetzt auf ganz BMW zu übertragen. Zipse sieht für die Wirtschaft jetzt ein Zeitfenster, das genutzt werden muss, nun da auch die USA beim Thema Nachhaltigkeit „wieder mit am Tisch“ sitzen. Es bleibt also zu hoffen, dass es im Herbst bei der geplanten IAA in München tatsächlich grundsätzlich um Mobilität und eine Vision für unsere Städte gehen wird.
Urbanism Reloaded – Empowering the Countryside
Nach den Erörterungen zur Mobilität in den Städten folgte ein echter Star, der niederländische Architekt, Harvard Professor und Pritzker-Presiträger (der „Oscar der Archtiektur“) Rem Koolhaas. Ohne große Vorrede sprang er direkt in seine Präsentation, ein wahrhaft intelligenter, kreativer wilder Ritt durch unterschiedlichste Themenfelder, Jahrhunderte und Kontinente. Auf wundersame Art und Weise fügten sich diese geistigen Blitzlichter aber nach und nach zu einem spannenden und schlüssigen Bild zusammen und bezogen all Position zu seinem Appell: Wir haben uns alle viel zu lange auf Verbesserung der Lebensqualität in den Städten fokussiert und dabei den ländlichen Raum vergessen, die Architekten, aber auch die Gesellschaft insgesamt. Diese (Selbst-)erkenntnis ist umso interessanter, als das von Koolhaas mitgegründete Architekturbüro OMA in Rotterdam die Stadt ja sogar im Namen trägt: OMA ist das Kürzel für „Office for Metropolitan Architecture“. Aber seine These, dass sich die Gesellschaft gerade angesichts der Prognose, dass die Menschheit in die Städte drängt, nicht auf eine höhere Attraktivität der Städte konzentrieren sollten, sondern im Gegenteil, das Leben auf dem Land attraktiver gestalten müsste, vertrat er mit großer Überzeugungskraft. Er kritisiert, dass es heute keinerlei Agenda für den ländlichen Raum gibt, kein tieferes Nachdenken und somit kein positives Image. Kann das wahr sein, dass uns hier nicht mehr als Gewerbegebiete und riesige Lagerhallen für den Versand einfallen? Die Art und Weise, wie Koolhaas diese Gedanken entwickelte und veranschaulichte war ebenso anspruchsvoll wie faszinierend: dabei sprang er von Mao über Margret Thatcher und Reagan bis zur Erstürmung des Kapitols und streifte dabei die tollkühnen Visionen des Architekten Herman Sörgel, der in den 1920er Jahren Pläne für das Trockenlegen des Mittelmeeres samt Europäisch-Afrikanischer Landbrücke ersann.
Ganz klar, dieser Mann hat eine Mission, und sein Vortrag wäre Stoff für eine ganze aufregende Veranstaltungsreihe gewesen. Aber das ist das Besondere am DLD, auch wenn der Kopf nach drei Tagen raucht, werden viele neue Gedanken gesetzt, von denen man noch Monaten zehren kann. Das Schlusswort gehört an diesem Tag dem Bestsellerautor Rolf Dobelli der auf höchst unterhaltsame Art und Weise die Erkenntnisse der Stoiker in Tipps zum Erreichen einer gelasseneren Einstellung in der Corona-Pandemie überträgt.
Tag 3
Tag der Wake-Up Calls
Gerade der dritte Tag war der Tag der Wake-Up Calls. Und dank des digitalen Formates erreichten diese deutlich mehr Teilnehmer als in den letzten Jahren, Stephanie Czerny und Chairman Yossi Vardi verwiesen in ihrer Opening Speech zu Recht mit Stolz auf das große Interesse am digitalen DLD: dieses Jahr waren ca. 5-mal so viele Teilnehmende wie in den letzten Jahren registriert, nämlich 7500, was laut Yossi Vardi sagenhaften 100.000 Stunden Teilnahmezeit entspricht. Das sind sicher gut investierte Stunden! Entsprechend viele neue Ideen gibt es bei den Veranstaltern. Von einem weiteren Termin bereits in den nächsten Monaten war die Rede, von einem Mobilitätsevent, einem Frauenkongress und einem Event mit Europa-Fokus im September. Überhaupt Europa: interessant ist, das bei einigen Teilnehmenden ein neues europäisches Selbstbewusstsein zu beobachten ist. Beziehungswiese den Wunsch, dass Europa mit seiner Vielfalt und seinen Werten eine Rolle spielen sollte bei den wichtigen Weichenstellungen der Zukunft. So hat es Stephanie Czerny gesagt: „We want to explain Europe, an unknown Country“.
Moderne europäische Helden
Mit Ugur Sahin, dem Mitgründer und CEO des Impfstoffentwicklers Biontech war dann auch bereits an Tag zwei ein ganz aktueller und zu Recht prominenter Vertreter für modernes europäisches Heldentum zu hören. In seiner „breathtaking Speech“ (Czerny) nahm er uns nochmal mit auf die abenteuerliche Reise der Impfstoffentwicklung gegen Covid19, die in Weltrekordzeit in den letzten elf Monaten stattfand. Es ist unglaublich spannend, wie Prof. Sahin beschreibt, wie ihn sehr früh beunruhigte, dass die neue Krankheit in China zu einem weltweiten Problem werden könnte. Dabei betonte er vor allem die Punkte der Ansteckung, ohne selbst Symptome zu zeigen in Kombination mit dem Ausbruchsort Wuhan als Verkehrsknotenpunkt mit wöchentlich über 2000 Flügen in alle Welt. Und so fiel – glücklicherweise! – früh die Entscheidung, die bei Biontech bereits vorhandene, eigentlich für die individuelle Krebsbekämpfung entwickelte Technik der mRNA, in den Dienst der Impfstoffentwicklung zu stellen. Wie Prof. Sahin dies alles ebenso klar wie bescheiden beschreibt, lässt uns mit unserer Ungeduld über Lockdown, mangende Impftermine und Homeschooling mit mehr Demut und Dankbarkeit zurück. Auch seine eher positiven Einschätzungen zum aktuellen Pandemie- und Impfgeschehen und die Möglichkeit, Impfstoffe relativ schnell an neue Mutationen des Virus anzupassen, werten wir als wohltuenden Silberstreif am Horizont.
Data & Democracy
Und auch eines der weiteren Highlights dieses Tages atmet europäischen Geist: Die Diskussion unter dem Titel Data & Democracy zwischen Stefan Vilsmeier, dem CEO von Brainlab und Viviane Reding, der ehemaligen EU Vize-Präsidentin und engen Wegbegleiterin des DLD, die als „European Veteran“ anmoderiert wird. In einer engagierten, hoch interessanten Diskussion sind sich beide einig, dass Europa die Hoheit über seine Datenschutzregeln behalten muss und hier weder der „Data Capitalism“ der USA noch die autoritäre staatliche Kontrolle Chinas als Vorbild dienen kann. In Zukunft im Wettbewerb zu bestehen – und dennoch das europäische Selbstverständnis wie den Respekt und Schutz des Individuums hochzuhalten – sehen beide als große Herausforderung.
Stefan Vilsmeier zeigt sich besorgt, dass die Standards gerade im dynamischen und sensiblen Medizinbereich schnell genug greifen. Er plädiert für „Chinese Walls“, also strikte Trennung von Bereichen eines Unternehmens mit unterschiedlichen Zielsetzungen, um Interessenskonflikte zu vermeiden, hier also die Nutzung persönlicher Gesundheitsdaten dürften nicht mit ganz anderen rein kommerziellen Themen gemischt werden. Wann hat man je eine so interessante und differenzierte Debatte über die häufig ungeliebte Datenschutz-Grundverordnung DSGVO erlebt: Als erfolgreicher Unternehmer in einem dynamischen Zukunftsmarkt ist Brainlab-Chef Stefan Vilsmeier natürlich auch mit den bürokratischen Auswüchsen dieser Regelungen konfrontiert. Er beschreibt, dass die Balance von Regulierung und Bedürfnissen der Wirtschaft oft nicht optimal seien und durchaus auch behindere: Ohne digitale Ökonomie gibt es auch nichts zu schützen. Viviane Reding sieht hier auch ein Problem im Kleinklein der Umsetzungen. Anstelle beispielsweise den kleinen Fußballclub zu gängeln, sollten lieber die großen Themen bei den digitalen Plattformen angegangen werden. Dennoch sieht sie den Europäischen Datenschutz als den „Goldstandard“ an.
Redesign the World
Was gab es noch? Echte Zukunftsmusik kommt von einem spannenden Shootingstar: Neri Oxman, Professorin am MIT ist Natur-Architektin und Forscherin, interviewt von Andrian Kreye (Süddeutsche Zeitung), die unter dem Titel „Think Big – Redesign the World“, die atemberaubend grundsätzlich Natur und Technologie auf neue Art und Weise verbindet. Sie beschäftigt sich mit der Schnittstelle von Architektur, Kunst, Biologie, Computing und Materialwissenschaft. Bei der Präsentation einiger ihrer Arbeiten, wie zum Beispiel die Erschaffung des Silk-Pavillions, eines Seiden-Objekt, konstruiert mit 6.500 lebenden Seidenraupen streift sie wie nebenbei sehr grundsätzliche ethische und philosophische Fragen im Verhältnis Mensch und Natur, hier den Versuch einer Kollaboration zwischen Mensch. „Enviromental Templating“ nennt Oxman die Technik, Lebewesen zum Beispiel durch den Einsatz von Wärme und Licht zu bestimmten Handlungen zu motivieren.
Tiefgreifender Wandel und eine neue Renaissance
Ein klassisches DLD-Thema, wie Künstliche Intelligenz die Arbeitswelt fundamental verändern wird, beschreibt Kai-Fu Lee, CEO von Sinovation Ventures, ehemaliger Google-China-Chef und Bestseller-Autor der als KI-Optimist gilt. Nachdem er uns nüchtern und überzeugend erklärt hat, warum die meisten Routinejobs in Zukunft wegfallen werden und so aus dem tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt keinen Hehl macht, beendet er seine Vortag mit einem optimistischen Ausblick und dem Glauben an die Menschlichkeit. Er sieht eine neue Renaissance heranziehen in einer Welt, die uns von Routinearbeiten befreit und Raum für unsere wahren Leidenschaften schafft, so dass wir die Menschen werden können, die wir gerne sein möchten. Insofern passt hier der abschließende Talk des DLD sehr gut, die idealistische Laura Brämswig, Gründerin der NGO „Expedition Grundeinkommen“ im Gespräch mit dem Investor und Autor Albert Wenger über die Vision eines Grundeinkommens ohne Vorbedingungen.
Das ist das Schöne am DLD: Nach einem drei Tage währenden Feuerwerk des brillanten Ideenaustauschs in den unterschiedlichsten Themenfeldern hängt doch alles mit allem zusammenhängt – wir mit. Zugegebenermaßen – mit noch mehr Fragen, aber doch auch mit der ein oder anderen Antwort, die wir in unseren persönlichen Alltag mitnehmen.